«In Libyen war ich einfach nur Kind. Und dann
plötzlich Flüchtling. Hier in Mannheim bin ich nun
Nachwuchs-Autorin.»
Muna Hussen
Autorin in der Literaturwerkstatt Der Schreibpool
Muna Hussen – Made in Mannheim
Ich bin eigentlich ein somalisches Mädchen, das aber in der kleinen Stadt Janzur in Libyen geboren wurde. Bis ich 15 war, hatte ich dort ein schönes Leben, mit meinen neun Geschwistern, mit meinen Freundinnen, mit Hobbies wie Basketballspielen, Fahrradfahren, Lesen und Tieraufzucht. Meine allererste und allerbeste Freundin war Hafsa. Leider ging ihre Familie zurück nach Somalia. Dort wurde Hafsa von einer Kugel in die Brust getroffen. Die Ärzte haben alles versucht, um sie zu retten. Ohne Erfolg. Ich werde sie nie vergessen, sie ist in mein Herz eingraviert. Trotz Hafsas Schicksal bin ich optimistisch. Daran konnte auch der Ausbruch des Krieges in Libyen im Februar 2011 nichts ändern. Waffen wurden verteilt, es gab Luftangriffe, Explosionen, jeden Tag viele tote Menschen. Mein Vater hat entschieden, dass wir weg müssen. In einem Schiff wurden wir nach Europa geschleust. Um drei Uhr morgens legte das Schiff mit 630 verzweifelten Menschen im Hafen von Tripolis ab. Mit Frauen, Kindern, Alten und Schwangeren. Sie kamen alle aus Afrika. In der Nacht versuchte ein Mann Selbstmord zu begehen, indem er sich auf offener See ins Wasser stürzte. Er wurde gerettet. 38 Stunden. Ohne Essen. Ohne Trinken. Ohne Schlaf. Dann das Asylheim in Lampedusa, von dort weiter nach Parma und Turin. Wir haben Landsleute gesehen, die im Dreck gelebt und am Boden geschlafen haben. Wir wollten weg.
Im Juni 2011 sind wir schließlich nach Deutschland gekommen. Unser erster Stopp war Aachen, von dort brachte uns die Polizei nach Koblenz.
Auch hier konnten wir nicht lange bleiben, es ging weiter nach Trier. In einem Asylheim in Ludwigshafen kamen wir endlich zur Ruhe. Seit diesem Jahr bin ich Schülerin in der Justus-von-Liebig-Schule in Mannheim. So bin ich auch zum Schreibpool und damit zum Jugendkulturzentrum FORUM und zum Stadtjugendring Mannheim gekommen. Seither hat sich viel geändert. Ich bin nicht mehr ein „Flüchtling“, der Deutsch lernen muss. Ich bin eine junge Autorin, die ermuntert wird, Geschichten zu erzählen. Auf Deutsch, ohne Druck und Angst. Hier in Mannheim hat man mir gesagt, dass meine Geschichten gehört werden müssen, dass ich immer weiterschreiben soll. Das hat mich stark, selbstbewusst und glücklich gemacht.
«Alle reden immer vom Wir. Reden ist mir aber zu wenig. Deshalb engagiere ich mich in einer Institution, wo das Wir längst Realität ist.»
Alev Bahadir
Mitglied des erweiterten Vorstands des Stadtjugendrings Mannheim für die DIDF-Jugend
Alev Bahadir – Made in Mannheim
Ich bin 24 Jahre alt und studiere. Mein ‚Heimat‘-Verband ist die DIDF-Jugend, eine Migrantenorganisation aus dem Arbeiterjugendbereich. Eigentlich wurde mir die politische Arbeit, die mein Verband leistet, bereits in die Wiege gelegt, da mein Vater aktiv in unserem Erwachsenenverband ist. Die Entscheidung, selbst aktiv Jugendarbeit zu leisten, kam aber erst viel später. Ich bin aufs Gymnasium gegangen, wo ich oft mit Vorurteilen konfrontiert wurde. Meistens ging es nicht um mich persönlich, sondern um andere Türkei-stämmige. Mir wurde immer versichert, dass ich anders als die sei. Bald wurde mir klar, was meine Sicht der Dinge ist: Es gibt kein die, sondern nur ein wir. In Deutschland sind wir alle gleich. Was uns unterscheidet sind die sozialen Missstände, die zu Ungerechtigkeit, Armut, Gewalt führen. Das war der Zeitpunkt, an dem ich erkannt habe, dass ich etwas verändern will und muss. So wurde ich aktiv bei der DIDF-Jugend. Dort betont man seit vielen Jahren die Gemeinsamkeiten und nicht die Unterschiede – dort hat man auch erkannt, dass Menschen mit Migrationshintergrund sich mit viel mehr beschäftigen, als nur mit migrantenspezifischen Themen. Über die DIDF-Jugend kam ich dann auch zum Stadt-jugendring. Hier erlebe ich eine bunte Vielfalt. Wo sonst sieht man große und kleine Verbände, Religiöse, Pfadfinder, Gewerkschaften, Arbeiterjugendverbände und andere Organisationen so selbstverständlich beieinander sitzen?
Uns eint das Ziel, gute Jugendverbandsarbeit leisten zu wollen. Durch meinen Verband und den SJR habe ich erkannt, dass Jugendarbeit viel mehr ist, als nur Freizeitbeschäftigung. Sie ist eine Quelle der Bildung, der Erziehung, der Diskussion und der Freude. Den Hut auf dem Bild hatte ich bei meinem ersten Gespräch mit einer Gemeinderatsfraktion auf. Er erinnert mich immer daran, dass man für die Jugendarbeit manchmal auch hart kämpfen und sehr viel diskutieren muss. Jugendarbeit verändert etwas. Sie hat auch mich verändert und mich zu dem Menschen gemacht, der ich heute bin.
«Mein erster Titel: Asylbewerberin.
Mein heutiger Titel: Vorstand.»
Özlem Alkan
Mitglied des erweiterten Vorstands des Stadtjugendrings Mannheim für Komciwan
Özlem Alkan – Made in Mannheim
Ich kam mit fünf Jahren aus der Türkei nach Deutschland. Zunächst nur mit meinem Vater, von dem ich schnell getrennt wurde. Weil wir als politische Flüchtlinge kamen, wurde er in das Asylbewerberheim in Raststatt bei Karlsruhe gebracht. Ich konnte bei meiner Tante in der Nähe von Stuttgart bleiben. Mein Bruder kam zwei Monate nach mir. Erst nach einem Jahr konnten wir meine Mutter wieder in die Arme schließen. Unseren Asylantrag stellten wir in Mannheim. 1991 kamen wir daher in den Flüchtlingsheimen in Rheinau und später in Weinheim unter. Wir waren zirka eineinhalb Jahren in den Einrichtungen, bis uns eine Wohnung zugewiesen wurde. Unser Alltag im Heim war geprägt von Trostlosigkeit, Gewalt und ständiger Angst vor einer Abschiebung. Jede Nacht gab es Streitigkeiten, meist mit blutigem Ende, sodass die Polizei anrücken musste. Die Menschen kamen von überall her. Aus Afrika, Asien, Osteuropa. Wir hatten alle eine Gemeinsamkeit: Wir mussten aus unserer Heimat fliehen, weil wir in Lebensgefahr waren.
Unser neues Leben in Deutschland war eine direkte Folge von Krieg, Armut oder politischer Verfolgung. Bei uns war es politisch: Meine Eltern gehörten einer linkskommunistischen Partei an und arbeiteten in einer Gewerkschaft. Sie organisierten Generalstreiks im ganzen Land. Mein Vater wurde verhaftet und gefoltert. Wochenlang war ungewiss, ob er überhaupt noch am Leben war. Nach seiner Freilassung flüchteten wir. 1993 lernten wir das Kurdische Volkshaus kennen, zu dem auch Komciwan gehört. Komciwan bedeutet für mich ein Stück Heimat. Mein Verband half mir bei meiner Identitätsfindung. Ich bin Halbtürkin und Halbkurdin und lebe in Deutschland: diese Mischung war gerade in der Pubertät nicht leicht. Über Komciwan kam ich bereits als Kind mit dem Stadtjugendring Mannheim in Berührung. Mittlerweile bin ich im erweiterten Vorstand. Das ist eine logische Konsequenz meiner persönlichen Geschichte: Ich mische mich ein, mache mich stark, engagiere mich. Durch die Vielfalt im Stadtjugendring hat all das viel mehr Gewicht. Meine Rolle in dieser bunten Organisation hat mir gezeigt, dass alles möglich ist – selbst wenn man aus einem Flüchtlingsheim kommt.